: Helvetische Meliorationen. Die Neuordnung der gesellschaftlichen Naturverhältnisse an der Linth (1783–1823). Zürich 2003 : Chronos Verlag, ISBN 978-3-0340-0664-4 363 S.

: Linth Kanal. Die korrigierte Landschaft – 200 Jahre Geschichte. . Glarus 2008 : Verlag Bäschlin, ISBN 3855461422 87 S.

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Agnes Nienhaus, Schweizerisches Bundesarchiv Archivstrasse 24 3003 Bern Schweiz

Innerhalb zweier Jahre hat der Zürcher Historiker Daniel Speich zwei Bücher zur Geschichte der Linthkorrektion veröffentlicht. Beide Publikationen stehen in engem Zusammenhang mit Speichs Aufarbeitung der Unterlagen der Linthkommission für die Übergabe an ein öffentliches Archiv. Der ersten zu besprechenden Publikation, den 2002/2003 als Dissertation angenommenen «Helvetischen Meliorationen», ist die intensive Quellenbearbeitung gut anzumerken. Speich nähert sich der Gewässerkorrektion an der Linth von einem kulturhistorischen Standpunkt und fragt dabei nach den gesellschaftlichen Zugriffen auf Natur im Sinne
von historischen «Konstellationen, in denen die Bezugnahme auf Natur bestimmten Regeln folgt». Diese Zugriffe auf Natur subsumiert er – in Analogie zu den gesellschaftlichen Machtverhältnissen – unter dem Begriff der «gesellschaftlichen Naturverhältnisse». Indem er seinen Untersuchungszeitraum von 1783 bis 1823 spannt und diesen mit dem Begriff der Sattelzeit (Kosselleck) charakterisiert, legt er einen besonderen Augenmerk auf die Beschreibung des kulturellen und politischen Wandels.

Im ersten Teil der Studie wird der Zugriff auf die Natur in der Linthebene im Ancien Régime umrissen. Auf dem Hintergrund der vormodernen Wasserwehr und der konfliktreichen Schifffahrt auf der Linth zeigt der Autor die Labilität des Systems in der Linthebene und die ungenügende gesellschaftliche Reaktion auf die allmähliche Versumpfung der Ebene auf. Im zweiten Teil beschreibt Speich die Mobilisierung einer bürgerlichen Öffentlichkeit angesichts des zunehmenden Umweltproblems in der Linthebene. Er holt dabei weit aus und verortet die Korrektion in der Philosophie Kants. Hier liest sich die fundierte Analyse als spannende Beschreibung der Umsetzung von trockenen philosophischen Leitsätzen in die Praxis. Das moralische Prinzip der Verbesserung – der «Melioration» – und der Erziehungswille der Aufklärung stehen dabei im Zentrum. Die Verortung unter dem «bürgerlichen Wertehimmel» umfasst darüber hinaus aber auch nationale und staatsrechtliche Leitbilder.
Im dritten Teil wird schliesslich die konkrete Arbeit in der Linthebene viel - schichtig analysiert. Die Linthkorrektion wird als Aktien-Unternehmung be - schrieben, die sich mittels der Mobilisierung einer national gesinnten Öffentlichkeit finanzielle Mittel und Legitimation verschaffte. Die einmalige politische Konstellation der Mediation habe dazu beigetragen, dass die Projektleitung weitgehende Vollmachten für die Umsetzung der Pläne erhielt und folglich ihre Vor - stellungen und Interessen auch gegen lokalen Widerstand – besonders in Land - besitzfragen – durchsetzen konnte. Die konkrete Arbeit am Fluss sei von den Aufklärern als Unterstützung der wahren, guten Natur verstanden worden, die Linth sei also nicht bezwungen, sondern im Sinne ihrer eigentlichen Natur «erzogen» worden. Speich stellt dar, dass dieser Erziehungswille auch die Menschen der Linthebene umfasste: Mit der Flusskorrektion sei auch das Projekt einer Volkserziehung verbunden gewesen, das das Ziel der Agrarmodernisierung und Armutsbekämpfung verfolgt habe.

In einem abschliessenden Ausblick geht die Studie dann auf die Linthkommission als in der Schweiz einzigartige Körperschaft – als «Staat im Staat» – ein, beleuchtet die Stabilisierung der neuen Verhältnisse durch Recht, Verwaltung und Forschung und analysiert schliesslich den Linth-Escher-Mythos, der bis heute in unterschiedlichen Zusammenhängen immer wieder auflebe. Gerade aufgrund dieser feinsinnigen Analyse der Mythen um die Linthkorrektion und ihren Protagonisten Konrad Escher soll hier noch kurz auf dessen Rolle in Speichs Studie eingegangen werden. Konrad Escher wird vom Autor einerseits als zentrale Persönlichkeit bei der Entwicklung und Verwirklichung des Projektes beschrieben, andererseits wird er auch als Fallbeispiel für die Darstellung der bürgerlichen Leitbilder hinzugezogen. Es ergibt sich daraus das Bild einer faszinierenden intellektuellen Persönlichkeit, in der sich die aufklärerischen Diskurse der Zeit sichtbar bündeln – sichtbar, weil anhand der erhaltenen biografischen Quellen Eschers Auseinandersetzung mit Kant der historischen Analyse zugänglich ist. Der Autor scheint diesem Charme seiner Hauptfigur als Untersuchungsobjekt etwas erlegen zu sein: Diese nimmt als Hauptperson und Fallbeispiel in der Studie einen so ausgedehnten Raum ein, dass andere Akteure in den Hintergrund geraten. So wiederholt Speich in seinem historischen Narrativ die Fixierung auf Escher, die er in der Historiografie selbst analysiert hat. Diese Personifizierung widerspricht gleichzeitig Speichs expliziter Aussage, dass es eine ganze Reihe gleich oder ähnlich gesinnter Personen brauchte, um das Unternehmen zu realisieren.

Insgesamt vermittelt Daniel Speich ein umfangreiches und inspirierendes Panorama der Bedeutung der Lithkorrektion für die Gesellschaft und ordnet dabei auch den Mythos, der sich um das Unternehmen und dessen Hauptinitiator rankt, neu ein. Das Buch ist jedoch mehr als einfach eine weitere Darstellung der Linthkorrektion: Indem die Frage nach dem gesellschaftlichen Umgang mit Natur konsequent verfolgt wird und die besonderen kulturellen und politischen Bedingungen der Umbruchszeit um 1800 ausführlich beleuchtet werden, gerät die eigentliche Unternehmung an der Linth zuweilen sogar stark in den Hintergrund.

Durch diese kulturgeschichtliche Einbettung vermeidet Speich eine Beschreibung der Linthkorrektion als simple Fortschrittsgeschichte, ohne deren wichtige Funktion im Modernisierungsprozess zu verleugnen. Hoch anzurechnen ist dem Autor auch die Beschreibung des Übergangs von alten auf neue Zugriffe auf Natur über
die üblichen Epochenschwellen hinweg. Störend ist allenfalls der Titel. Hauptund Untertitel bringen zwar Hauptthesen und theoretischen Zugang der Studie auf den Punkt; sie sind in ihrer kombinierten Mehrdeutigkeit aber in hohem Masse irritierend: Die meisten Lesenden, vor allem solche ausserhalb der Schweiz, werden sich unter diesem Titel wohl kaum etwas vorstellen können. Ein weniger manierierter Titel hätte diesem geradlinig geschriebenen Buch deshalb gut angestanden. Die zweite Publikation mit dem Titel «Linth Kanal», im Auftrag der Linth - kommission verfasst, wendet sich an ein breites Publikum. Im Gegensatz zu den «Helvetischen Meliorationen» steht in diesem reich illustrierten Band die Linthebene und die korrigierte Linth stärker im Zentrum. In elf kurzen Kapiteln gelingt es Speich, seine Erkenntnisse zum Bau der Linthkorrektion in einer lesbaren Art zusammenzufassen, ohne sie zu verwässern. Bereits in diesen präzisen Kurzfassungen liegt eine Qualität dieses Bandes. Sie zeigen, wie sich theoretisch anspruchsvolle Forschung in guter «populärwissenschaftlicher» Darstellung niederschlagen kann. Der Band geht im Zeitrahmen jedoch über die Dissertation hinaus und fasst auch die Melioration der Linthebene im 20. Jahrhundert, die Entwicklung von Industrie und Verkehrswegen an der Linth, die Rolle des Militärs und die sich wiederholenden Hochwasser ins Auge. Vor allem bieten aber die grossformatigen Abbildungeneine gute Ergänzung zu den «Helvetischen Meliorationen» mit ihren leider nur kleinen, schwarz-weissen Bildern. Die vielen aufschlussreichen historischen Karten erleichtern die fürs Thema wichtige räumliche Verortung, illustrieren den sich verfeinernden technischen Zugriff auf die Natur und unterstreichen damit Speichs Aussagen. Bei den aktuellen fotografischen Ansichten der Linthebene, die als doppelseitige Bilder willkürlich in den Band eingestreut sind, vermisst man allerdings Bildlegenden und einen inhaltlichen Bezug. Der Bildband bietet im Anhang zudem eine kurze Chronologie, einen nützlichen Abriss des Personals der verschiedenen Linthkommissionen und ein kapitelweise aufgebautes Literatur- und Quellenverzeichnis, das die Möglichkeit bietet, sich vertieft mit der Materie auseinanderzusetzen.

So sind beide Bände als gelungen zu bezeichnen. Forschern, die an der praktischen Umsetzung bürgerlicher Leitbilder und der historischen Entwicklung des Umgangs mit Natur interessiert sind, finden in den «Helvetischen Meliorationen» eine fundierte Studie. Personen, die sich vor allem für einen Einstieg in die Geschichte des Linthkanals interessieren, sind eher auf den Bildband zu verweisen. Doch die beide Bände sind nicht nur einzeln zu empfehlen: gerade die gemeinsame Lektüre bietet zusätzlichen Gewinn.

Zitierweise:
Agnes Nienhaus Rezension zu: Daniel Speich: Helvetische Meliorationen. Die Neuordnung der gesellschaftlichen Naturverhältnisse an der Linth (1783–1823). Zürich, Chronos, 2003. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 55 Nr.2, 2005, S. 231-233.

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Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 55 Nr.2, 2005, S. 231-233.

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